Discuss Europe, KV Münster

Aller où? Diskussion zur Präsidentschaftswahl in Frankreich

Die Präsidentschaftswahl in Frankreich rückt immer näher und ihr Ausgang ist weiterhin ungewiss. Rund 20 junge Menschen diskutierten beim Discuss Europe Stammtisch über die politische Stimmung in der Grande Nation, die Kandidaten und deren Wahlprogramme. Via Live-Schaltung aus Paris gab Hannah Cornelsen Einblicke in die Assemblée nationale und beantwortete unsere brennenden Fragen.

Am Dienstag, den 11. April 2017 widmete sich unser öffentlicher Discuss Europe-Stammtisch der französischen Präsidentschaftswahl, die am 23. April und am 07. Mai in zwei Durchgängen stattfinden wird. Um 20:00 Uhr hatten sich im Raum F135 des Fürstenberghauses in Münster nicht nur JEFerInnen sondern auch weitere Interessierte eingefunden. Hannah Cornelsen, ehemalige Münsteraner JEFerin und derzeit Praktikantin im Unterhaus des französischen Parlaments, führte via Live-Schaltung in das politische System Frankreichs ein, in dem das Amt des Präsidenten durch Charles de Gaulle gestärkt wurde und seither sehr personalisiert ist. Es folgte eine Vorstellung der populärsten KandidatInnen, samt ihren politischen Linien, aktuell aufsehenerregenden Ereignissen und ihren Chancen auf den Sieg: Emmanuel Macron (En March, linksliberal, pro-europäisch), Marine Le Pen (Front National, nationalkonservativ, rechts), Jean-Luc Mélenchon (Parti de Gauche, öko-/sozialistisch), François Fillon (Les Républicains, konservativ, gaullistisch) und Benoît Hamon (Parti Socialiste, sozialdemokratisch, linksliberal).

Den Einstieg in die Diskussion vor Ort lieferte der Eindruck einer anwesenden Studentin, dass die nationalkonservative, rechtspopulistische Partei Front National trotz des Zuspruchs aus der Wählerschaft weiterhin von öffentlichen Debatten ausgeschlossen werde und als Tabuthema gälte. Hannah teilt diese Wahrnehmung: vor den TV-Debatten der Kandidaten, sei verkannt worden, dass der Front National zum politischen Mainstream gehöre, langsam käme dafür allerdings ein Bewusstsein auf. Zwischen den PolitikerInnen des Front National und der anderen Parteien gäbe es kaum Dialog, vielmehr herrsche Kampf.

Anschließend wurde die Wichtigkeit der Präsidentschaftswahl im Verhältnis zur darauf folgenden Parlamentswahl am 11. Juni 2017 beleuchtet. Die Wahl des nächsten Präsidenten und der nächsten Präsidentin sei wegweisend und es zeichne sich bereits jetzt ab, dass die Mehrheitsbildung im Parlament schwierig werden könnte. Da ihren Kandidaten kaum Chancen eingeräumt werden schlügen sich erste Abgeordnete anderer Parteien bereits auf die Seite von Emmanuel Macron, dem Gründer der linksliberalen, pro-europäischen Bewegung En March. Sollte Macron Präsident werden sei es sehr wahrscheinlich, dass aus der Bewegung mit mehr als 230.000 Mitgliedern seit Gründung vor einem Jahr eine Partei wird. Daraufhin kam die Frage auf, wie es möglich sei innerhalb weniger Wochen eine Partei zu gründen, die über die notwendigen Strukturen und das politische Personal verfüge, um bei der Parlamentswahl anzutreten. Hannah wusste zu berichten, dass es längst Personen gäbe, die als potentielle Abgeordnete für En March kandidieren und ins Parlament einziehen wollten.

Thematisiert wurde ebenfalls die französische Medienlandschaft als Einflussfaktor auf die Wahl, der Umgang der Medien mit Populismus und die Frage, ob Lehren aus der US-Wahl gezogen worden seien. Zunächst seien Probleme wie ‚Fakenews‘ und ‚unseriöse Plattformen‘ in Frankreich nicht so stark ausgeprägt. In diesem Wahlkampf würden sich alle KandidatInnen medial insbesondere durch Bilder in Szene setzen, Macrons Strategie sei deutlich auf Social Media ausgerichtet. Zum Umgang mit (Rechts-)Populismus, stellte Hannah fest, dass Marine Le Pen eine legitime Kandidatin für das Amt sei und eine mediale Ausgrenzung sie im Zweifel nur noch stärker mache. Es würde aber vielfach kritisiert, sie sei überproportional repräsentiert. Konkrete Lehren seien aber keine gezogen worden, vielmehr sei das Bewusstsein für das ‚Unmögliche‘ da und niemand ruhe sich auf der Vorstellung aus, Le Pen würde auf keinen Fall gewinnen.

Selbstredend wurden auch die Wahlkampfthemen benannt. Herausgestellt würden insbesondere die Forderung mancher Kandidaten nach einer Verfassungsänderung, die derzeitige Fehler ausmerzen solle und die 6. Republik ausrufe. Analog würden Bürokratieabbau, Verkleinerung des Beamtenapparats, Möglichkeiten für mehr Effizienz des Staates und Gewährleistung globalen, wirtschaftlichen Handelns von französischen Unternehmen und  Arbeitnehmerentsendung debattiert. In den TV-Debatten würden hinsichtlich nationaler Souveränität, Konkurrenz zwischen Staaten und einer Projizierung von Problemen auf die Europäische Union häufig anti-europäische Positionen bezogen. Seit in Frankreich der Ausnahmezustand ausgerufen und mehrmals verlängert wurde, sei auch Innere Sicherheit und die Aufstockung von Polizeibeamten ein Dauerthema.

Nach rund einer Stunde des Austauschs stellte Hannah abschließend fest, dass die Stabilität in Frankreich unter anderem davon abhängig sei wie der zukünftige Präsident oder die zukünftige Präsidentin auf europäischer und internationaler Ebene angesehen wird. Momentan werde dem Amt große Hoffnung und viel Respekt entgegengebracht.

Die Abschlussstatements aus der Runde machte nochmals deutlich, dass eine Stimmung der Unsicherheit herrscht. Auch für die anwesenden Französinnen sei die Entscheidungsfindung zwischen den elf Kandidaten in diesem teilweise durch Skandale und Misstrauen geprägten Wahlkampf in keinem Fall leicht. Die Wahl sei unkalkulierbar und auf Umfragen könne man sich kaum verlassen. Die große Anzahl der noch Unentschlossenen und der potentiellen Nichtwähler werde für den Ausgang der Wahldurchgänge wesentlich sein. 

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Hannah Cornelsen absolviert derzeit ein Deutsch-Französisches Parlaments-Praktikum, das von der französischen Regierung ausgeschrieben wird. Es bietet interessierten deutschen Studierenden und HochschulabsolventInnen die Möglichkeit, ein Praktikum bei einem/r Abgeordneten des französischen Parlaments, der Assemblée Nationale zu absolvieren. Ein vorausgehendes Studiensemester am Institut d’Etudes Politiques de Paris dient der Vorbereitung auf das Praktikum bei der/beim Abgeordneten an der Nationalversammlung. Im Rahmen des Praktikums werden sie mit den Aufgaben eines Abgeordnetenbüros vertraut gemacht. Dazu gehören gutachtliche Ausarbeitungen, Abfassung von Reden, Artikeln und Briefen und Sekretariatsaufgaben sowie die Vorbereitung von Sitzungen.

Wer sich für die Ausschreibung des Programmjahres 2018/2019 interessiert kann sich bei Hannah Cornelsen melden. Die Kontaktinformationen können beim Vorstand der JEF Münster angefragt werden.