In Polen wurde eine Ausnahmeregelung, die die Abtreibung schwer geschädigter Föten erlaubt, vom – durch die rechtskonservative Partei PiS stark beeinflussten – Verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt. Das katholisch geprägte Land hatte bereits zuvor eines der striktesten Abtreibungsgesetze in ganz Europa. Seit 1997 war eine Abtreibung nur bei Entstehung einer Schwangerschaft durch ein Verbrechen wie Vergewaltigung, bei Gefährdung des Lebens der Mutter und im Falle einer Schädigung des Embryos möglich. Da das Verfassungsgericht eine Abtreibung bei Fehlbildung des Fötusses nun für illegal erklärt hat, sind Frauen vom Staat von nun an dazu gezwungen, schwer kranke Kinder zu gebären.
Kriminalisierung der Abtreibung
Wenn man bedenkt, dass von den 1.200 legal vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen im letzten Jahr in Polen 1.074 vorgenommen wurden, wegen einer schweren Schädigung des Fötusses, wird deutlich, dass es sich bei diesem Gerichtsbeschluss praktisch um ein Abtreibungsverbot handelt. Dies stellt eine Menschenrechtsverletzung da und zwingt Frauen dazu, ungewollte Schwangerschaften sowie Schwangerschaften, bei denen das Leben des Kindes unmittelbar gefährdet ist, fortzuführen. Aufgrund dieser Rechtslage sehen sich viele Frauen gezwungen, illegale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen oder dafür ins Ausland zu gehen. Frauenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der bei Polinnen im Ausland vorgenommenen oder nicht gesetzmäßigen Abtreibungen jährlich auf 200.000. Illegale Schwangerschaftsabbrüche stellen ein enormes Risiko für die Mutter dar und führen zur Kriminalisierung der Abtreibung. Dieses defacto Abtreibungsverbot wird nicht für weniger Abtreibungen sorgen, sondern diese lediglich risikoreicher machen. Gerade für Frauen, die sich diese Schritte nicht leisten können, ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts noch problematischer.
Nach dem durch Massenproteste verhinderten Bestreben der PiS-Partei, in den letzten Jahren das Abtreibungsrecht über gesetzgeberischen Weg zu verschärfen, gelang es der Regierungspartei nun, ohne öffentliche Debatte oder einen Beschluss im Parlament, durch Einsatz des befangenen Gerichts. Das oberste polnische Gericht wurde bereits nach dem ersten Wahlsieg der PiS-Partei 2015 von der Regierung umstrukturiert. Selbst die Richterin, die dem Antrag letztendlich stattgegeben hat, gilt als eine enge Vertraute des Parteivorsitzenden.
Untragbare Rechtseinschränkung
Die Entscheidung über das Abtreibungsrecht ist somit weder demokratisch, noch nach legislativen Maßstäben rechtlich legitim. Sie schränkt die Freiheit von Frauen, frei über ihren eigenen Körper und ihre Lebensführung in Familie, Beruf und Bildungsmöglichkeiten zu bestimmen, drastisch ein. Dies ist in unseren Augen mehr als unvereinbar mit den in den Verträgen definierten Europäischen Grundwerten der Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und der Menschenrechte (vgl. Art. 2 EUV) und betont vor allem durch den gestrigen Tag (25.10.), dem Europäischen Tag der Justiz nachdrücklich: „Rule of Law Matters“! Ein solcher gerichtlicher Beschluss, der die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung der BürgerInnen derart einschränkt und unter staatliche Kontrolle stellt, ist innerhalb der Europäischen Union untragbar.
Daher fordern wir:
- Eine einheitliche, reformierte und liberalisierte Gesetzgebung auf EU-Ebene zum Abtreibungsrecht. Im Zuge dessen, sollte in der EU die Entkriminalisierung und Zugänglichkeit zu sicherer Abtreibung für jede Frau, in jedem Fall gewährleistet werden. Denn Polen ist nur ein extremes Beispiel, auch in vielen anderen Ländern der EU, inklusive Deutschland, werden Frauen absichtlich Steine in den Weg gelegt, auf den ohnehin schon psychisch schwierigen Weg zu einer Abtreibung.
- Jedes Mädchen und jede Frau sollte Zugang zu Informationen und Mitteln der Schwangerschaftsverhütung haben.
- Die Information zu Schwangerschaftsabbrüchen darf keiner Kriminalisierung zum Opfer fallen, sondern muss frei zugänglich sein für jede Frau, die sich darüber Informieren möchte.
- Die Sanktionierung Polens für die Verletzung der Menschenrechte und die Instrumentalisierung der Justiz als Werkzeug der Regierung.