Corona ist in Europa angekommen – und zwar in jedem Land. Jetzt Grenzen zu schließen, hat nicht nur keinen Nutzen, sondern schadet allen Mitgliedsländern und Europa als Ganzem.
Es ist ein Reflex, der zeigt, wie viel Macht dem Konstrukt des Nationalstaates noch heute zugeschrieben wird: Bei Gefahr machen wir die Grenzen dicht und versuchen, das Problem allein zu lösen.
Wenngleich es sinnvoll sein kann, besonders stark betroffene Regionen zumindest zeitweise voneinander zu isolieren, lässt sich bei den aktuellen Grenzkontrollen kein solcher Nutzen erkennen. Denn das Virus ist ohnehin in allen Ländern angekommen und hat sich dort bereits innerhalb der Bevölkerung verbreitet. Damit sind nicht Eintragungen des Virus‘ von außen das Problem, sondern die Ansteckungen der Menschen untereinander.
Was hilft und was nicht
Grenzschließungen geben uns die Illusion von Kontrolle angesichts einer schwer vorhersagbaren Situation – sie sind damit eine Form magischen Denkens, die uns beruhigen soll und Handlungsfähigkeit simuliert. Unter den aktuellen Bedingungen können Grenzschließungen die Infektionszahlen aber nicht nennenswert senken. Die Maßnahmen, die wirklich helfen, sind jene, die wiederholt empfohlen werden: Social Distancing, Händewaschen und Isolierung von Infizierten. Diese gelten und wirken in allen Ländern gleichermaßen.
Jetzt die Schlagbäume zu senken, löst unsere Probleme also nicht – ganz im Gegenteil, es schafft sogar neue. Wichtige, systemrelevante Arbeitskräfte kommen verspätet zur Arbeit, weil sie lang vor den Grenzen warten müssen. Lebensmittel, Desinfektionsmittel und andere kritische Güter haben Verspätungen von Tagen (!), weil es zu Staus an den Grenzübergängen kommt. In den kommenden Wochen könnten Massen von Lebensmitteln auf den Feldern verkommen, weil Erntehelfer aus anderen Ländern fehlen. Die europäischen Länder und Menschen sind inzwischen derart miteinander vernetzt, dass Grenzschließungen in vielen Lebensbereichen zu erheblichem Schaden führen.
Unsere Grenzen müssen offen bleiben!
Der nationalstaatliche Reflex muss angesichts dieser Tatsachen von den Regierungen überdacht und überwunden werden. Wenn die Maßnahmen, die gegen die Pandemie helfen, uns schon vor große Anstrengungen stellen, sollten wir uns nicht mit unnötigen Maßnahmen ohne nachweisbaren Nutzen zusätzlich schaden. Auch und gerade jetzt: die Grenzen in Europa müssen offenbleiben. Denn es geht nicht darum, Ansteckungen zwischen Ländern zu vermeiden, sondern die Ansteckungen innerhalb der Länder auf ein handhabbares Niveau zu senken. Dafür brauchen wir: Pflegekräfte aus Polen, Lebensmittel aus den Niederlanden und Medikamente aus der Schweiz. Und zwar sofort – ohne endlose Kontrollen an den Grenzen.