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Schattenseiten der digitalen Bildung: Schule während der Corona-Pandemie

Seit Ausbruch der Pandemie bleiben weltweit Schulen geschlossen. Unterricht soll nun digital statt im Klassenzimmer erfolgen. Mehr Gerechtigkeit durch digitale Bildung? Oder macht die vermehrte Nutzung digitaler Bildung zu Zeiten von Corona nicht eher sichtbar, wo Ungleichheit herrscht? Und noch eine Frage: Braucht man die analoge Schule noch oder kann sie weg? Ein Kommentar.

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„Sind die Ressourcenausstattung oder Lebensbedingungen von bestimmten Gruppen so beschaffen, dass sie regelmäßig bessere Lebens- und Verwirklichungschancen als andere haben, so spricht man von sozialer Ungleichheit“, definiert die Bundeszentrale für politische Bildung soziale Ungleichheit. Diese fängt mit der Geburt an und wird gerade in der Schulzeit sichtbar: Kinder, die in besseren – sprich reicheren – Vierteln zur Schule gehen, profitieren davon, dass an ihrer Schule eine engagiertere, meist akademische Elternschaft aktiv ist, die die Digitalisierung von Schulen schon lange vorantreibt.

Diese Kinder werden auch zu Zeiten, in denen Schule während der Corona-Pandemie nicht analog stattfinden kann, ein besseres Lernangebot online vorfinden. Das ermöglicht ihnen in der Corona-Krise, mehr zu lernen als Kinder, deren Schulen kaum digitale Angebote vorweisen können. Zudem bekommen Kinder, deren Eltern einen höheren Bildungsgrad haben, häufiger Anregungen und Unterstützung für die Hausaufgaben von Zuhause. Gerade zu Zeiten von Corona sind es vor allem Eltern mit akademischen Berufen, die Homeoffice machen und so ihren Kindern mehr Zeit widmen können. Kinder, deren Eltern Pflegekräfte, Verkäufer*innen oder Reinigungspersonal sind, können ihre Arbeit nicht von zu Hause aus erledigen. Deren Kinder sind länger allein und müssen selbst die Motivation aufbringen, sich an die Aufgaben der Lehrer*innen zu halten.

Benachteiligung hat viele Gesichter

Doch es geht nicht allein darum, dass Kinder aus ärmeren Familien während der Corona-Krise weniger lernen. Es geht um viel elementarere Dinge. Noch Anfang des Jahres 2020 schrieb die Wochenzeitung ZEIT, dass in Deutschland ca. 1,5 Millionen Kinder in Armut leben. Für ein 10-jähriges Kind seien im Hartz-IV-Satz 4,09 Euro pro Tag für Essen und Trinken vorgesehen. Diese Summe reicht schon im alltäglichen Leben nicht, um Kindern eine angemessene, warme Mahlzeit am Tag zu garantieren. Ohne die Schulkantine kann es nun dazu kommen, dass auch die eine warme Mahlzeit am Tag für manche Kinder ausbleibt.

Armut, Stress, Ausgehverbot: die Corona-Pandemie belasten ärmere Familien stärker als Familien mit finanziellen Rücklagen. Das birgt weitere Risiken, wie ein erhöhter Alkoholkonsum oder vermehrter Gewalt. Waren Kinder zuvor die meiste Zeit am Tag in der Schule, so sind sie diesen Situationen nun schutzlos ausgeliefert. Sowohl die Gewaltanwendungen gegen Kinder, als auch die Zahl von Teenager-Schwangerschaften schnellen zu Krisenzeiten enorm in die Höhe, wie eine Studie mehrerer Nichtregierungsorganisationen zur Ebola-Krise gezeigt hat. Zudem haben die Kinder kaum Kontakt zu Drittpersonen, die helfen könnten und viele Anlaufstellen sind geschlossen.

Die Schule als Schutzraum

Die Schule kann viele Ungleichheiten zum Beispiel durch ein warmes Mittagsangebot und Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag ausgleichen. Sie kann ein Zufluchtsort vor Gewalt werden, sie kann ein Raum sein, in dem Kinder Ansprechpartner*innen, Freundin*innen und Unterstützung finden. Sie macht ein Stück weit wett, wofür Kinder nichts können, nämlich unter welchen Umständen sie geboren wurden.

Zu Zeiten von Corona gerät schnell in Vergessenheit, dass es sich für viele Kinder um eine ebenso unerträgliche Situation handelt. Jene, die auch sonst mit Kindern arbeiten, sind daher dazu angehalten, auch jetzt zu helfen, wo Hilfe notwendig ist: Lehrer*innen können hier beispielsweise Kontakt zu den Kindern halten, deren Vorgeschichten sie besonders gut kennen oder um deren Situation sie wissen. Auch Studierende können sich engagieren, zum Beispiel durch Online-Hausaufgabenbetreuung. Die einzige Hoffnung, die in dieser Situation bleibt, ist, dass die sichtbar gemachten, sozialen Ungleichheiten nach der Corona-Krise Priorität für die Regierungen werden. Natürlich hat die Schule mal genervt, aber abgeschafft gehört sie auf keinen Fall.

von Julia Fischer