Ein großer Schritt für Europa – aber auch eine Erinnerung, wie dringend notwendig Reformen sind! Nach fünf intensiven Verhandlungstagen hat sich heute der Europäische Rat auf eine Verhandlungsposition zum EU-Haushalt und dem Wiederaufbaufonds geeinigt. Mit der Einigung der Staatschef*innen auf eine gemeinsame Position ist ein bedeutender Schritt gemacht, der für viele vor wenigen Monaten noch undenkbar schien: Die Europäische Union nimmt gemeinsam Schulden auf und erweitert dafür den Budgetrahmen.
Das Ergebnis des Gipfels ist angesichts einer beispiellosen Krise wie der Corona-Pandemie der richtige, notwendige Schritt – für den aber trotzdem hart gekämpft werden musste. Ein guter Tag für den europäischen Zusammenhalt und ein klares Signal an die Welt: Europa steht in Krisen zusammen und ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt. Auch die geplante Erschließung neuer Einnahmequellen ist ein wichtiger Fortschritt. Finanztransaktionssteuer, Plastikabgabe und eine gemeinsame Digitalsteuer stärken nicht nur die EU-Finanzen, sondern setzen richtige Anreize auf dem Weg zu einem gerechteren Steuersystem in Europa
Dennoch hat der Verhandlungsprozess auch die Schwachstellen der Europäischen Union wieder deutlich gemacht:
Einzelne Länder konnten Fortschritte lange mit der Androhung eines Vetos verzögern und letztlich vieles auch gegen das gemeinsame europäische Interesse durchsetzen. Ungarns Premier Victor Orbàn hat die Verbindung der Finanzhilfen mit einer Prüfung der Rechtsstaatlichkeit abgeschwächt und die „sparsamen Vier“ haben eine wahre Rabattschlacht gestartet, um ihren Anteil an der Finanzierung der gemeinsamen Ausgaben zu reduzieren. Somit hat der Gipfel vor allem gezeigt, dass es grundlegende institutionelle Veränderungen braucht, um unilaterale nationale Vetos zu verhindern und die demokratische Legitimation des EU-Haushalts zu stärken.
Keine Einigung ohne das Europäische Parlament
Die Einigung in der Runde der Staats- und Regierungschef*innen ist nur ein erster Schritt für das Finanzpaket. Jetzt müssen sich die europäischen Volksvertreter*innen dazu positionieren. Ohne die Zustimmung des Europaparlaments kann das Finanzpaket nicht in Kraft treten. Dass dies auch in den Berichten über die Verhandlungen oft vergessen wird, ist symptomatisch für zwei Kernprobleme der EU: Das Parlament wirkt nach der derzeitigen Regelung nicht gleichberechtigt an der Ausarbeitung des EU-Budgets mit – sondern kann nur auf den Vorschlag der Staats- und Regierungschef*innen reagieren – und es fehlt weiterhin eine Europäische Öffentlichkeit.
Staatschef*innen, die nur einen kleinen Bruchteil der EU-Bevölkerung vertreten, können mit ihrer Vetomacht die große Mehrzahl der Mitgliedsländer in Geiselhaft nehmen und Zugeständnisse erzwingen.
Dabei ist das EU-Parlament die einzig direkt demokratisch legitimierte Institution der EU. Die derzeitige vertragliche Ausgestaltung, die die Staatschef*innen der Mitgliedstaaten in den Fokus rückt – und mit einem Vetorecht ausstattet, – führt zu absurden Dynamiken. Staatschef*innen, die nur einen kleinen Bruchteil der EU-Bevölkerung vertreten, können mit ihrer Vetomacht die große Mehrzahl der Mitgliedsländer in Geiselhaft nehmen und Zugeständnisse erzwingen.
Statt ausführlicher Debatte und Diskussion der Streitpunkte in der europäischen Öffentlichkeit werden in Marathonverhandlungen, von denen nur Bruchstücke an die Öffentlichkeit gelangen, Deals geschmiedet. Das europäische Parlament steht dabei erst einmal an der Seitenlinie, während nationale Interessen die Diskussionen prägen und die Regierungschef*innen statt des europäischen Mehrwerts ihre eigene Wiederwahl im Auge haben.
Deutlich wurde das vor allem beim inoffiziellen Anführer der „sparsamen Vier“, dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, der deutlich gemacht hat, dass er vor allem auf das nationale Eigeninteresse pocht: „Wir sind immer noch hier, weil sich jeder um sein eigenes Land kümmert.“
Die Mammutdebatte hat wieder einmal gezeigt, dass es grundsätzlicher Reformen bei den EU-Entscheidungsprozessen bedarf. Wir als Junge Europäische Föderalisten sind überzeugt, dass die beste Lösung in einer föderalistischen Umstrukturierung der EU liegt. Das Europaparlament als Stimme aller EU-Bürger*innen braucht eine gleichberechtigte Verhandlungsposition zu den Vertreter*innen der Mitgliedstaaten. Europäische Interessen dürfen nicht nationalen Egoismen und Wahlkalkülen geopfert werden – in einer EU, in der jeder Mitgliedstaat stets mit einem Veto drohen kann, wird es auch kaum möglich sein, Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit wirksam zu ahnden.
Wo muss das EU-Parlament unbedingt nachbessern?
Das Europäische Parlament muss jetzt konsequent nachverhandeln und dafür sorgen, dass vor allem die Rechtsstaatskonditionalität umgesetzt wird! Gemeinsame Werte sind das Fundament der Europäischen Union und wer gegen diese verstößt, darf nicht von EU-Mitteln profitieren. Nur so wird es die EU schaffen, wieder zu einer glaubwürdigen Vertreterin ihrer eigenen Grundwerte zu werden.
Außerdem fordern wir:
Keine Kürzungen bei der sozial-ökologischen Transformation!
Gerade die Kürzung des Budgets für den Just Transition Fund ist besorgniserregend! Wenn wir die Regionen und Menschen, die am stärksten von der absolut notwendigen klimafreundlichen Transformation betroffen sind, nicht unterstützen, gefährden wir den sozialen Zusammenhalt und letztlich den Kampf gegen den Klimawandel selbst.
Zukunftsinvestitionen dürfen nicht geopfert werden
Es ist mit Sorge zu betrachten, dass die zukunftsgewandten Teile des EU Haushaltes, wie Digitalisierung, Umwelt, Jugend oder das EU4Health-Programm für den Kompromiss geopfert wurden. Auch die Investitionen in Horizon Europe, dem Forschungsförderungsprogramm, sind in dem neuen Vorschlag stark reduziert – dabei ist gerade dieses Programm wichtig, um Europa zukunftsfähig zu machen und Innovationen für eine klimafreundliche Transformation anzuregen. Diese Kürzungen mögen momentan politisch einfacher durchzusetzen sein, sie werden uns allerdings in Zukunft einholen und noch mehr kosten. Dieses Sparen auf Kosten der kommenden Generationen ist ein Rückschritt und muss vom Europäischen Parlament verhindert werden.
Die Konferenz zur Zukunft Europas sollte Basis für institutionelle Erneuerung legen
Die Probleme der bestehenden europäischen Entscheidungsfindungsprozesse müssen grundsätzlich diskutiert werden und sollten in einem offenen, bürgernahen Prozess angegangen werden. Die Gelegenheit hierzu bietet die geplante Konferenz zur Zukunft Europas, bei der vor allem zufällig, aber repräsentativ geloste Bürgerversammlungen eine wichtige Rolle spielen werden. Zudem sollen über digitale Beteiligungsmöglichkeiten möglichst viele EU-Bürger*innen an der Diskussion über die zukünftige Gestaltung der Union teilhaben können und die organisierte Zivilgesellschaft eingebunden werden. Wir unterstützen die Zukunftskonferenz als wichtigen Bottom-Up-Ansatz zur europäischen Erneuerung und fordern, dass auf ihrer Basis ein Vertragsänderungsverfahren eingeleitet wird.