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Nicht alles gold, was glänzt

Das „Gouden Eeuw“, übersetzt das „Goldene Zeitalter“, bezeichnet in den Niederlanden die Zeit des 17. Jahrhunderts, in der die Republik eine kulturelle, wirtschaftliche und militärische Weltmacht war. Das Kolonialreich umfasste Gebiete in der Karibik, in Südamerika, Afrika, Asien und Ozeanien, bevor nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten ehemaligen Kolonien sich ihre Unabhängigkeit erkämpften – teils durch blutige Konflikte. Der Begriff des „Gouden Eeuw“ ist inzwischen jedoch umstritten, denn das Goldene Zeitalter war für viele Menschen – darunter Frauen, Sklav*innen und insgesamt Menschen in den Kolonien – alles andere als ein goldenes.

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Während die Niederlande ihr Goldenes Zeitalter erlebten, ging es der Kleinstadt Breda zunächst schlecht. Ihre Bewohner*innen litten unter dem Achtzigjährigen Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien. 1624/25 kam es zur Belagerung durch spanische Truppen. Als 1648 endlich Frieden herrschte, kehrte jedoch auch in Breda jener Reichtum ein, den die Niederlande im 17. Jahrhundert – dem Goldenen Zeitalter – vor allem durch ihre Stellung als Kolonialmacht erzielten.

Breda, 400 Jahre später: Im März 2017 findet hier ein Wahlkampfauftritt des niederländischen Politikers Geert Wilders, Vorsitzender und einziges Mitglied der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV), statt. Es regnet so stark, dass die Tropfen in dicken Fäden auf die Pflastersteine der Fußgängerzone hinabzufallen scheinen. Dennoch haben sich einige Dutzend Menschen im Stadtzentrum eingefunden. Wilders hat viele glühende Anhänger*innen. Als er aus seiner gepanzerten Limousine steigt, ist die Einkaufsstraße im Stadtzentrum abgesperrt. In den Eingängen aller Läden halten Zivilpolizist*innen ihre Pistole bereits in der Hand, um Millisekunden früher abdrücken zu können als mögliche Attentäter*innen. Die Niederlande müssen nach den Attentaten am Rechtspopulisten Pim Fortuyn und dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh einen dritten Mord solcher Art um jeden Preis verhindern. Auch Wilders wird – unter anderem wegen seiner rechtspopulistischen und islamophoben Positionen – von vor allem islamistischen Gruppen mit dem Tod bedroht. Seine Politik fordert bereits seit 2006 eine Rückkehr zum Gouden Eeuw, zum Goldenen Zeitalter.

Amsterdam Museum versus Wilders und Baudet

Doch zunächst geht die Reise nach Amsterdam in den Herbst 2019: Die Debatte um das Gouden Eeuw eskaliert, als das stadtgeschichtliche Amsterdam Museum beschließt, den Begriff nicht länger zu verwenden. „Das Amsterdamer Museum bemüht sich schon seit Langem darum, für immer mehr Menschen relevant zu sein, und sieht die Aufgabe des Begriffs ‚Goldenes Zeitalter‘ als einen Schritt, um andere Perspektiven auf diese Zeit zu ermöglichen“, heißt es in der Pressemitteilung des Museums. Der Verzicht auf den Begriff sei zudem nur ein Schritt in einem Prozess, an dem das Museum zusammen mit Menschen aus der Stadt seit Jahren arbeite. Es wolle ein Ort sein, an dem sich alle Menschen willkommen fühlen.

Wilders Antwort erfolgt unverzüglich. Auf Twitter schreibt er: „Man kann nicht mehr stolz auf die Niederlande sein wegen dieser geistesgestörten linken Selbsthasser. Sie zerstören die Niederlande mit ihrer falschen politischen Korrektheit. Ich liebe die Niederlande, unsere Kultur und Geschichte, und ich bin sehr stolz auf das Goldene Zeitalter.“ Zur Seite springt ihm ein jüngerer Vertreter der niederländischen Neurechten: Thierry Baudet versucht seit zwei Jahren, Wilders mit seiner Partei „Forum voor Demokratie“ das Wasser im Tümpel der rechtspopulistischen Wählerschaft abzugraben. Baudet erklärt in einem Tweet, dass er das Goldene Zeitalter im Gegensatz zu linken Geschichtshassern liebe, und muss dabei nicht einmal die 280 Zeichen ausreizen, die der Kurznachrichtendienstes erlaubt. „Goldenes Zeitalter. Love it!“, schreibt er.

Historiker und Politikwissenschaftler Koen Vossen von der Universität Nijmegen gilt als einer der erfahrensten Experten für Rechtspopulismus in den Niederlanden und niederländische politische Geschichte. Für ihn setzt heute eine Aufarbeitung des Begriffs des „Goldenen Zeitalters“ ein, die auch Aspekte wie Sklaverei und Gräueltaten der Niederländer*innen in den Kolonien betrachtet. „Unter anderem der indonesische Unabhängigkeitskrieg mit über 100 000 Toten sowie die Sklaverei in den Kolonien wird nun stärker in den Blick genommen“, sagt er.

Exkurs: Das Königreich der Niederlande, seine karibischen Gebiete und ihre Beziehungen zur EU heute

Das Königreich der Niederlande besteht aus vier Ländern, von denen die europäischen Niederlande nur eines sind. Aruba, Curaçao und Sint Maarten sind als niederländische Überseegebiete ebenfalls Teil des Königreichs. Drei weitere karibische Inseln sind als besondere Gemeinden wiederum den europäischen Niederlanden zugeordnet, nachdem das Überseegebiet der Niederländischen Antillen 2010 aufgelöst wurde. Beziehungen sowie Zugehörigkeit zur EU, Zahlungsmittel und weitere Bestimmungen sind dabei nicht einheitlich geregelt.

„Wilders und Baudet glauben, dass in Holland eine ‚Weg mit uns‘-Kultur herrscht“, erklärt Vossen. „Sie meinen, es gibt einen großen Kulturrelativismus, der alle Kulturen gleichwertig findet und die holländische, christliche Kultur nicht als Leitkultur betrachtet. Ein Aspekt davon ist, dass wir nicht länger auf unsere eigene Geschichte stolz sind und nur noch Scham und Schuld empfinden.“ Das Vorhaben des Amsterdam Museum sei den beiden Rechtspopulisten gerade recht gekommen, meint der Wissenschaftler: „Es ist immer so, dass die beiden ein Beispiel nehmen und es als repräsentativ für ein ganzes gesellschaftliches Klima ansehen. In Wilders und Baudets Augen haben wir eine Elite, die unsere ganze Geschichte und Kultur wegschmeißen will.“

Ein „neues Goldenes Zeitalter“ als Wahlversprechen

2006 gründete Wilders seine eigene Partei und überschrieb sein Wahlprogramm für die anstehenden Parlamentswahlen plakativ mit „Ein neues Goldenes Zeitalter“. Die Partei wolle „den Weg in eine freie und wohlhabende Gesellschaft, in ein neues Goldenes Zeitalter voller Chancen und Möglichkeiten gehen“, heißt es darin. Dieser Plan soll „enorme positive wirtschaftliche Auswirkungen haben: mehr Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze. Davon können alle profitieren: Unternehmer, Arbeitnehmer, Aktive und Nichterwerbstätige.“ Wilders knüpft also vor allem an die wirtschaftliche Blüte des Goldenen Zeitalters an, als sich mit der weltweit in den niederländischen Kolonien und darüber hinaus aktiven „Vereenigde Oostindische Compagnie“, der Niederländischen Ostindien-Kompanie, ein erster Vorläufer von multinationalen Unternehmen gründete und für Wohlstand in den Niederlanden sorgte.

Der Hintergrund seiner Forderungen: Ende der 90er Jahre war in den Niederlanden eine Tendenzwende zu beobachten, welche ein stärkeres Nationalbewusstsein in den Niederlanden einforderte. Mit seinem Wahlprogramm von 2006 sprang Wilders auf genau diese Entwicklung auf: Das „Goldene Zeitalter“ wurde als Zeit der niederländischen Blüte stilisiert – und als verlorene Zeit, an die es wieder anzuknüpfen gilt. Gleichzeitig kam eine zweite Welle von Politiker*innen um die linksliberale Sylvana Simons auf, die argumentierten, in den Niederlanden kenne man die dunklen Seiten seiner Geschichte nicht mehr – unter anderem die des Goldenen Zeitalters. „Sklavenhaltung, die Dekolonisierung, insbesondere der Guerillakrieg in Indonesien, darüber wurde niemals richtig geredet. Das sind die zwei Pole der neuen Identitätspolitik“, so Vossen, „Die eine Seite sagt: Wir brauchen uns nicht zu schämen für unsere Geschichte, wir sollten darauf stolz sein. Auf der anderen Seite eine Gruppe, die sagt: Wir sollen auch die dunkle Seite unserer Geschichte bewältigen.“ Nur in einem Punkt seien sich beide Pole anscheinend einig: Es wird nicht genug über damals gesprochen.

Bewusstsein für die Debatte in den Niederlanden noch niedrig

Heute wird die Debatte in der breiten niederländischen Bevölkerung immer noch nicht deutlich wahrgenommen, analysiert der Historiker: „Das hängt natürlich sehr davon ab, mit wem man spricht. An meiner Universität in Nijmegen finden es die meisten Studenten gut, dass wir jetzt auch die negativen Seiten der Kolonialgeschichte sehen. Aber es gibt auch Leute, die meinen: Jetzt ist alles, was gut war, auf einmal schlecht. Da ist ein Unbehagen mit der neuen politischen Korrektheit.“ Viele wüssten zudem gar nicht, worum es beim Goldenen Zeitalter eigentlich ginge: „Die Niederländer*innen haben nie ein großes historisches Bewusstsein gehabt. Es ist kein Volk, in dem die Geschichte als besonders wichtig empfunden wird. Wenn wir unsere Nationalhelden betrachten, hört die Kenntnis oft schon bei Spinoza, Rembrandt und Willem van Oranje auf.“ Dennoch sieht Vossen die Debatte auf einem richtigen Weg: „In meiner eigenen Schulzeit haben wir nicht viel darüber geredet, was in Indonesien passiert ist, da die niederländischen Veteranen immer noch viel Einfluss hatten.“

Im März 2020 legte der niederländische König Willem Alexander bei einem Staatsbesuch in Indonesien einen Kranz nieder. Zum ersten Mal entschuldigte er sich damit offiziell für das Handeln der Niederlande im indonesischen Unabhängigkeitskrieg. Kritisiert wurde jedoch, dass er sich lediglich für die übermäßige Gewalt der niederländischen Truppen entschuldigte – und nicht für 100 000 Tote oder die Kolonialherrschaft selbst. Auf der anderen Seite löste er mit der Entschuldigung auch Kritik vonseiten der niederländischen Veteranen aus, die ihren Einsatz gewürdigt wissen wollten. Deutlich wird: Die Polarisierung in der Betrachtung der niederländischen Kolonialvergangenheit ist immer noch zu spüren. Und doch war die Kranzniederlegung ein erstes Zeichen der Aufarbeitung. „Ich biete meine Entschuldigung an, im vollen Bewusstsein, dass die betroffenen Familien der Schmerz und die Trauer heute immer noch fühlen“, sagte der niederländische König im indonesischen Jakarta.

von Joris Duffner