Stellungnahmen

Bundesstaat statt Staatenbund

Warum wir nach dem Überfall auf die Ukraine endlich eine Debatte über die Vereinigten Staaten von Europa brauchen

„Why is Biden not in Europe taking the lead?“ twitterte Nigel Farage am 26. Februar, zwei Tage nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Nun, die Europäische Union steht dieser Tage geschlossen da wie selten zuvor, sie zeigt doch Führung, dafür brauchen wir den amerikanischen Präsidenten nicht, mögen wir dem britischen Europa-Feind entgegen halten. Die Sanktionen wurden koordiniert, neue Rüstungsvorhaben sind auf dem Weg und sogar über eine Europäische Armee wird wieder ernsthaft debattiert, wollen wir Farage antworten. Und sicherlich, all das stimmt, die EU ist in den Schrecken des Krieges in ihrem östlichen Nachbarland enger zusammengerückt, sie tritt gemeinsam nach außen auf und stellt sich dem russischen Aggressor entgegen. Und doch kommt man nicht umhin, einen wahren Kern an den Einlassungen des einfältigen Engländers zu erkennen. Während sich Borell, Michel und von der Leyen durch das Kompetenz- und Kompetenzkompetenzwirrwarr der EU schlagen und – zugegebenermaßen – ihr Bestes geben, um die EU außenpolitisch während des Ukraine-Kriegs zu vertreten, sind und bleiben sie in ihrem Handeln limitiert. Es fehlt am Ende an einer klaren Struktur, an noch schnelleren Entscheidungen, an Einigkeit, an einem deutlichen Zeichen der Stärke. Ein Zeichen, wie es nur die Vereinigten Staaten von Europa bieten können. Deshalb muss jetzt – in den schwersten Stunden, die der europäische Kontinent seit langem erlebt – die Debatte über den Weg vom Europäischen Staatenbund zum Europäischen Bundesstaat ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung: Why is there no European President in Europe, taking the lead?

Endlich europäische Führung in einer geopolitisch veränderten Welt

In den vergangenen Wochen sind einige europäische Staats- und Regierungschefs zu Putin nach Moskau gereist, wollten ihn beschwichtigen, den Krieg noch abwenden, die Handelsbeziehungen noch retten. Allen voran Scholz und Macron schienen zunächst auch Erfolge zu erzielen, sogar vom Truppenabzug war kurzzeitig die Rede. Der 24. Februar hat uns eines Besseren belehrt. Er hat uns gezeigt, dass Putin den europäischen Staats- und Regierungschefs ins Gesicht lügt, sie am Ende nicht respektiert. Die Beziehungen zur Europäischen Union scheinen ihm so unwichtig zu sein, dass er den grausamen und völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine und damit verbunden auch die EU-Sanktionen eingeplant hat. Sicherlich, er hat sich verkalkuliert, mit der Deutlichkeit und Einigkeit der Weltgemeinschaft hat er nicht gerechnet, auch militärisch scheint es nicht nach Plan zu laufen. Und doch hat er die Reaktion der EU eingepreist, sein fehlender Respekt vor der Macht der Europäischen Union hat einen ganz zentralen Grund. Putin weiß um die institutionellen Schwächen der Union, um das Einstimmigkeitsprinzip bei vielen EU-Entscheidungen, er weiß, dass Macron und Scholz am Ende doch nur für ein Mitgliedsland sprechen können und nicht für die Europäischen Union als Ganzes. Das kann nur ein*e  Europäische*r Präsident*in. Der Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa würde aufzeigen, wie Europa in einer geopolitisch veränderten Welt mit einem aggressiven Russland dauerhaft den Frieden erhalten kann.

Vereinigte Staaten von Europa als Schutzmacht für den Kontinent

Wenn auch nicht für ganz Europa, so kann man doch für die EU festhalten, dass es auf dem Gebiet ihrer Mitgliedstaaten seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg zwischen zwei Staaten mehr gegeben hat. Man darf nicht vergessen, dass auch die EU in Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) die Hilfe ihrer Mitgliedstaaten festgeschrieben hat, sollte eines angegriffen werden. Zwar nicht ganz so deutlich formuliert, wie der NATO-Bündnisfall, könnten dadurch jedoch auch deutsche Soldaten beispielsweise einen Angriff Russlands auf Finnland verteidigen. Insbesondere vor dem Hintergrund der USA, die sich tendenziell weniger in der NATO engagieren werden, vor dem Hintergrund eines möglichen abermaligen Wahlsiegs von Trump oder einem ähnlich euroskeptischen Präsidenten 2024 muss sich Europa macht- und auch militärpolitisch neu aufstellen. Auch wenn erste neue Schritte in Richtung Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik sowie einer EU-Armee erkennbar sind, so wird diese doch immer entscheidende Konstruktionsfehler haben, solange die EU-Mitgliedstaaten nicht in einem Europäischen Bundesstaat aufgehen. Nur mit den Vereinigten Staaten von Europa kann eine Europäische Außen und Sicherheitspolitik wirklich gelingen. Nur dann könnten Soldat*innen mit EU-Flagge auf ihrer Uniform als Schutzmacht auf dem Europäischen Kontinent fungieren. In der Bündnisverteidigung, gemeinsam mit der NATO, als auch als Friedensmacht für den gesamten Kontinent – die Ukraine eingeschlossen.

Die Ukraine hat ihren Platz in einem föderalen Europa

Die Vereinigten Staaten von Europa können zunächst die aktuellen Mitgliedstaaten der Europäischen Union umfassen. Im Sinne eines gesamteuropäischen Föderalismus und letztlich mit der Vision des Weltföderalismus müssen sie anstreben, allen Ländern auf dem Europäischen Kontinent die Aufnahme zu ermöglichen – selbstverständlich auch der Ukraine. Der Weg dorthin ist ein langer und sicherlich sind Abstufungen des Beitritts und der Mitgliedschaft nötig. Doch auch die Vereinigten Staaten von Amerika wuchsen langsam und wurden erst mit der Zeit zu dem, was sie heute sind. Wir müssen endlich den Anfang machen, endlich offen über unsere europäische Zukunft sprechen. Wichtig ist, dass wir den Krieg in der Ukraine als das sehen, was er ist: Ein  endgültiger Bruch mit der Hoffnung „Nie wieder Krieg in Europa“. Ein Warnsignal, dass die EU in ihrer jetzigen Konstruktion ihr Versprechen nach Frieden droht, nicht einlösen zu können. In ihrer Nachbarschaft hat sie bereits versagt, die ukrainischen Toten sind auch europäische Tote. Auch wenn Visionen und langfristige Vorhaben zurzeit auf den ersten Blick nicht angebracht scheinen, da akute Hilfe für die Menschen in der Ukraine sowie für Geflüchtete das Gebot der Stunde ist: Der Ukraine-Krieg zeigt, dass jetzt institutionelle Reformen innerhalb der EU, Reformen hin zum Europäischen Bundesstaat dringend nötig sind. Hin zu den Vereinigten Staaten von Europa – samt Europäischem/r Präsident*in – die nie wieder einen Krieg in Europa zulassen werden.