Stellungnahmen

Digitale Transformation für mehr Lebensqualität, Freiheit und Selbstentfaltung

Eine Stellungnahme von Jan Schwellenbach

Thomas Watson, Chairman von IBM sagte im Jahr 1943: „Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt“.  Darryl F. Zanuck, ehemaliger CEO von 20th Century-Fox sagte 1946: „der Fernseher wird sich nicht durchsetzen“. George M. Fisher, ehemaliger CEO von Kodak sagte noch 1997: „Digitalfotografie wird den analogen Film nicht verdrängen“. Alle 3 CEOs haben sich fundamental geirrt und insbesondere im letzten Fall war die Fehleinschätzung verheerend. Aus dem einstigen Platzhirsch und Pionier der Fotografie wurde in kurzer Zeit ein Patient für die Intensivstation. Zu Hochzeiten hatte das Unternehmen fast 150.000 Mitarbeiter:innen angestellt. Es folgte ein beispielloser Abstieg bis zur Insolvenz. Kodak ist bis heute nicht mehr auf die Beine gekommen. Zuletzt waren es noch ca. 4.900 Mitarbeiter:innen gewesen und der Fall von Kodak ist kein Einzelfall unternehmerischer Fehleinschätzungen. Marktdinosaurier wie Nokia, IBM, BlackBerry, oder das deutsche Unternehmen Quelle erlitten einen ähnlichen Abstieg. Werden wir in Europa solch ähnliche Fehler in der digitalen Transformation machen? Es könnte uns teuer zu stehen kommen. Tausende Arbeitsplätze würden wir verlieren. Fachkräfte würden abwandern. Verlust der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Waren und Dienstleistungen würde uns drohen. Und schließlich würden wir alle einen starken Wohlstandsverlust erleiden.

Was braucht es in den nächsten 10 Jahren, um das oben skizzierte Unheil abwenden zu können? Die EU-Kommission machte dazu in den vergangenen Monaten endlich lang ersehnte, konkrete Vorschläge.

„20 Mio. Expert(inn)en. Gigabit für alle und 5G überall. 10 000 hochsichere klimaneutrale Rechenzentren.“

Für die mit Sicherheit kommende, riesige Datenflut schlug sie vor: 1. Kompetenzen: IKT-Expert(inn)en: 20 Millionen mit tendenziellem Geschlechtergleichgewicht und digitale Grundkompetenzen bei mind. 80 % der Bevölkerung. 2. Sichere und nachhaltige digitale Infrastruktur: Konnektivität: Gigabit für alle, 5G überall, Avantgarde-Halbleiter: Verdopplung des EU-Anteils an der weltweiten Produktion, Daten – Edge Computing und Cloud: 10 000 hochsichere klimaneutrale Rechenzentren, Informatik: erster Computer mit Quantenbeschleunigung. 3. Digitaler Wandel in Unternehmen: Technologieübernahme: 75 % der EU-Unternehmen nutzen Cloud/KI/Big Data, Innovatoren: Förderung von Skaleneffekten und Finanzierung zur Verdoppelung der Zahl der Startups mit Wert über 1 Mrd. € in der EU, Nachzügler: über 90 % der kleinen und mittelständigen Unternehmen erreichen zumindest ein Basisniveau an digitaler Intensität. 4. Digitalisierung öffentlicher Dienste: wesentliche öffentliche Dienste: 100 % online, elektronische Gesundheitsdienste: 100 % der Bürger/innen haben Zugang zu ihren Patientenakten, digitale Identität: 80 % der Bürger/innen nutzen digitale ID1.

„In den vergangenen Monaten der Pandemie haben wir gemerkt, wie wichtig und existenziell das Internet geworden ist.“

Diese Vorschläge sind vielleicht im Jahr 2020/2021 deutlich zu spät, aber wenigsten liegen sie auf dem Tisch. Diese Ziele an sich sind jedoch potenziell vielversprechend. Sollten wir diese tatsächlich erreichen, bleiben uns die wichtigsten Akteure höchstwahrscheinlich erhalten und wir sehen vielleicht die ein oder andere neue Innovation. Dennoch fehlen auch Zielvorgaben, bspw. beim Thema Blockchain, Open Source, virtuelle Währungen, Robotik und Weitere.

Auch die Gefahren der digitalen Transformation müssen von der Kommission behandelt werden.

Erstens: Stell Dir eine Smart World vor, in der alle technischen Geräte in Europa vernetzt sind – was würde passieren, wenn jemand alle diese Geräte hacken und steuern könnte? In dieser Welt würde uns sehr wahrscheinlich die Gefahr vernichtender Cyberattacken auf Stromnetze, Krankenhäuser, Verkehrsnetze, Polizeistationen, Gefängnisse, Behörden, Militär etc. drohen. Allein in Deutschland betrug der wirtschaftliche Schaden von Cyberattacken in diesem Jahr 223 Mrd. €. 9 von 10 Unternehmen waren von Datenklau, Spionage oder Sabotage betroffen.

„Allein in Deutschland betrug der wirtschaftliche Schaden von Cyberattacken in diesem Jahr 223 Mrd. €. 9 von 10 Unternehmen waren von Datenklau, Spionage oder Sabotage betroffen.“

Eine zweite Gefahr sind digitale Monopolisten, die mit ihren Plattformen ein gigantisches Wissen über uns angehäuft und verkauft haben. Über ihre Plattformen wurden in der Vergangenheit Regierungen gestürzt, Straßenschlachten organisiert, staatliche Propaganda betrieben und Präsidentschaftswahlen entschieden. Ihrem Einfluss scheint kaum ein Staat Einhalt gebietenzu können. Auch finden auf ihren Plattformen Verleumdungen, Hetze, Rufmord und andere Straftaten statt, werden Fake News verbreitet und Händler:innen willkürlich gesperrt.

Drittens droht uns womöglich mittel bis langfristig eine riesige Freisetzungswelle von Arbeitskräften, da ganze Arbeitsbereiche vollständig automatisiert werden und Arbeitsplätze dadurch vermutlich ersatzlos gestrichen werden. Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren wir in dieser Lage nicht arbeiten zu müssen. Was wird das mit uns machen? Werden wir uns alle nutzlos und sinnlos fühlen? Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber dennoch müssen wir über die Szenarien reden und auch die EU hat sich schon mit diesen Bedrohungen beschäftigt.

Der Schlüssel zur Cybersicherheit liegt laut der EU-Kommission in Gesetzgebung und Zertifizierung. Sie will die ENISA (Agentur der Europäischen Union für Netz- und Informationssicherheit) stärken, ein einheitliches Zertifizierungssystem aufbauen, Investition ausbauen, politische Leitlinien erarbeiten (eine gemeinsame Einheiten), Fähigkeiten und Bewusstsein schaffen und eine starke Cyber-Community aufbauen. Ob das ausreichend ist? Insbesondere die Strafverfolgung wird ein Schlüsselfaktor in der scheinbar anonymen Cyberwelt sein. Auch das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Zu den Widrigkeiten mit den digitalen Monopolisten schlug die Kommission das Gesetz zu digitalen Märkten und digitalen Dienstleistungen vor. Schon ersichtlich passendere Maßnahmen, die deutlich die Rechte von Nutzerinnen und Nutzer stärken und Transparenz herstellen, gleichzeitig aber auch nicht Innovationen und Wachstum ausbremsen.

„Insbesondere die Strafverfolgung wird ein Schlüsselfaktor in der scheinbar anonymen Cyberwelt sein. Auch das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.“

Die ernsthafte Bereitstellung finanzieller Mittel macht Hoffnung. Allein 20 % des 750 Mrd. € schweren NextGenerationEU-Fonds werden direkt für die digitale Transformation abrufbar. Der knapp 1.1 Bio. € schwere mehrjährige Finanzplan sieht weitere große Ausgaben vor. Da ist die Vorstellung des Green Deals schon ein starkes Zeichen, dass die EU die Herausforderungen und Chancen der nächsten Dekade, ein nachhaltiges und digitales Europa zu schaffen, verstanden hat. Wie es jedoch mit dem Thema Arbeit in einer post-digitalisierten Wirtschaft aussieht, lässt die EU offen? Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif genug, um Pläne für diese Szenario zu entwickeln.

„Wir wollen von den verschiedenen Akteuren mitgenommen werden bei der Ausgestaltung der digitalen Transformation. Wir als Menschen und Bürger:innen müssen im Zentrum dieses Wandels stehen.“

Im Austausch mit anderen Bürger:innen beim Bürgerforum am 18.10.2021 in Düsseldorf stellten wir generationsübergreifend fest, dass wir von den Akteuren in jedem Szenario mitgenommen werden wollen bei dieser Transformation. Wir wollen den Prozess selbst mitgestalten. Denn am Ende steht doch eigentlich die Frage, wie sich diese digitale Transformation auf uns auswirkt. Wir wollen im Zentrum dieses Prozesses stehen. Wird uns diese digitale Welt von morgen einsam vor unseren Bildschirmen sitzen lassen, werden wir uns nutzlos und sinnlos fühlen, wird die Welt von morgen unser Verhalten und unser Denken kontrollieren und manipulieren, wie dies in China derzeit schon praktiziert wird, oder verschafft uns die Welt von morgen mehr Lebensqualität, Wohlstand, Freiheit, Autonomie, Selbstentfaltung? Wir von der JEF jedenfalls kämpfen auf alle Fälle für Letzteres! Die Fehler der Vergangenheit und der Gegenwart sind uns ein Ansporn